Ich dachte es könnte schlimmer kommen ...

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... und es kam schlimmer

Ein strahlendschöner Sommervor­mittag in Wolnzach. Fritz Kreis ist gerade mit dem Karussellaufbau be­schäftigt, fleißig werkelt er mit sei-nen beiden Helfern am letzten Fein­schliff. Zum Interview gehen wir in ein Café. Auf dem Hinweg erzählt er nebenbei, dass er seit Corona nicht mehr dort war. Wir ergattern den letzten Tisch auf der Freifläche im Schatten. Die Wirtin kommt und weist uns freundlich darauf hin, dass wir uns am anderen Ende der Terrasse erst registrieren müssen, bevor wir uns setzen dürfen. Fritz will gerade wieder aufspringen, da bemerkt die Wirtin erst, wer der Gast ist. Sie lacht: „Ach, bleibt sitzen Fritz, ich schreib euch dazu, du bist mir eh lieber als manch andere Gäste!“ Der Markt Woln-zach veranstaltet eine kleine Volksfest­alternative. Fritz ist mit seinem „Süßen Laden“ und der Dschungelrallye an­gereist und freut sich sichtlich darauf. Zuvor war er vier verlängerte Wochen­enden in Ingolstadt am Paradeplatz ge­standen.

Wie läuft es bei dir mit den Volksfest-Alternativen?

Das bringt uns immerhin ein Stück Alltag zurück, leider fehlt der Wohn­wagen und meine Frau ist deswegen meistens mit dem Baby daheim. Unser Hund Lumpi ist richtig aufgeregt, dass er endlich wieder auf einem Volksfest­platz unterwegs sein darf. Was mir ganz stark auffällt: Die Leute freuen sich wirklich, dass endlich ein bisschen was geboten ist. Sie sind schon sensibilisiert und passen auf, damit sich keine Trau­ben bilden, bisher zeigten sie Respekt und Anstand. Mir persönlich ist es total wichtig, die Hygienemaßnahmen kon­sequent umzusetzen. Wir desinfizieren nach jedem Kind das Fahrzeug, stellen Desinfektionsmittelspender auf und haben auch beim Karussell zusätzliche Plexiglasscheiben angebracht. Einige Sitzplätze der Fahrzeuge sind dauer­haft mit Stofftieren belegt, damit der Mindestabstand eingehalten werden kann. Die Leute können sich darauf verlassen und sollen es weitererzählen, dass wir uns kümmern und aufpassen. Dann kommen sie auch wieder. Finan­ziell kann dies allerdings meinen Betrieb nicht am Laufen halten. Wir brau­chen die Spitzenzeiten, zu denen viel Geschäft geht, denn dadurch gleichen wir Schlechtwettertage aus. Davon le­ben wir, gleichwohl fehlt das nun kom­plett.

Trotzdem bist und bleibst du mit Leib und Seele Schausteller ...

Ich bin auf Volksfestplätzen groß ge­worden. Während der Schulzeit wuchs ich bei einer Pflegefamilie auf, bei Be-kannten meiner Eltern. So hatte ich das Glück, das ganze Jahr über die gleiche Schule zu besuchen und den gleichen Freundeskreis zu haben. Freilich ver­brachte ich alle Wochenenden und Ferien auf Volksfesten. Für mich gab es nie etwas Anderes, als Schausteller zu werden. Mein Vater hat mir angeboten, nach der Schule erst eine Lehre zu ma­chen und es mir dabei zu überlegen. Aber das wollte ich nicht, ich musste sofort auf das Volksfest. Ich habe es bis heute nicht bereut und werde es auch nie bereuen. Meine Frau hatte einen anständigen Beruf (lacht) aber selbst sie hat es noch nicht ein einziges Mal bereut ins Schaustellergeschäft ge­wechselt zu haben. Obwohl man gene­rell sagen muss, dass es kein normaler Beruf ist, das muss man schon mögen: Auf der einen Seite Arbeitszeitspitzen, auf der anderen Seite dann mehr Frei­zeit. Genau wie das Leben im Wohn­wagen. Es macht viel Arbeit, jedes Mal wieder alles komplett einzuräumen und für die Fahrt zu sichern, nur um es ein paar Stunden später dann neu auf­zustellen. Aber meiner Frau gefällt das, sie ist begeistert: „Das sieht jedes Mal anders aus, ich find das total schön, da tut sich immer was!“ Derzeit dekoriert sie halt alle paar Wochen die Wohnung um (lacht). Wir sind seit vier Jahren zu­sammen, sie kommt aus keiner Schau-stellerfamilie, aber sie ist schon rein­gewachsen. Die derzeitige Situation ist für sie schlimmer als für mich, weil sie meistens daheim beim Kind ist, da fällt ihr manchmal die Decke auf den Kopf. Sie stand letztes Jahr schwanger bis zum letzten Tag im Glühweinstand, es waren Wochen voller Trubel, immer viel los. Dann kamen wir nach Hause, es kehrte Ruhe ein und das Baby fing an zu strampeln. Diese plötzliche Ruhe hat es schlicht nicht gepackt, es kam gleich am 3. Januar zur Welt. Wenn ich mir ein Jahr für diesen Corona-Mist ausgesucht hätte, wäre es dieses gewe­sen. So konnte ich mehr Zeit mit Emilia verbringen. Ich bin stolz, dass wir jetzt eine Tochter haben, die den Betrieb mal weiterführt, wenn sie das möchte. Selbstverständlich kann sie machen was sie will und ich werde sie in jedem Fall unterstützen, aber das wäre mir schon am Liebsten.

Verständlich, bei einer so langen Fa­milientradition ...

Ja, meine Familie steht seit 154 Jahren am Gillamoos. Im Jahre 1867 baute sich Valentin Kreis ein Karussell, seitdem geht es rund. Unsere Schiffschaukel ist in Teilen schon über 100 Jahre alt. Wenn ich mir die alten Bilder ansehe, dann fällt mir auf, dass immer wieder die gleichen Elemente auftauchen von damals. Erst waren es geschnitzte Balken mit Perl-deko, dann war diese Deko weg, aber neue geschnitzte Zierleisten da. Die Schaukel wurde immer neue gestaltet und weiterentwickelt. Auf älteren Fotos ist die heutige Glocke zu sehen, sie ist dann wohl das älteste Originalteil, das noch genau so erhalten ist wie damals. Meine Oma hat mir erzählt, dass sie in den Kriegsjahren, als der Gillamoos ausfiel und mein Opa im Krieg fort war, die Schaukel am Stadtplatz aufgebaut hat. Viele hatten damals kein Geld, be­zahlt wurde dann eben mit einem Glas Marmelade oder einem Stück Brot. So schlimm ist es Gott sei Dank derzeit nicht, aber gerade für die Jungen, die erst Neuanschaffungen finanziert ha-ben, ist das trotzdem extrem schwierig. Die ganze Saison fällt aus, diese lange Zeit zu überbrücken ist hart. Ich habe ja zum Glück schon was fürs Alter gespart, das geht halt nun drauf. Aber ich habe ja noch Zeit, wieder neu was für das Al­ter zu sparen (lacht). Eigentlich hatten wir geplant uns für diese Saison einen neuen, etwas größeren Wohnwagen zu kaufen – Platz für Emilia und so. Aber dann kam Corona und wir cancelten es gerade noch rechtzeitig. Am Anfang dachte ich: naja, es könnte schlimmer kommen – und es kam schlimmer! Jetzt müssen wir halt das Geld zusammen­halten. Auch wenn wir über kurz oder lang einen neuen Wohnwagen brau­chen werden. Wir hatten gerade zu Be­ginn viel Verständnis dafür, dass alles ausfallen muss. Gesundheit geht nun mal vor. Langsam aber geht ja wieder was. Bei den Schausteller-Demos woll­ten wir zeigen, dass wir reagiert und Hygienekonzepte ausgearbeitet ha­ben. Wir können Feste abhalten, wenn es uns erlaubt wird. Das was hier gerade läuft kommt faktisch einem Berufsver­bot nahe, deshalb wollen wir, dass uns der Staat unterstützt, damit wir wenigs­tens unsere Fixkosten decken und den Betrieb aufrechterhalten können, ohne dafür einen Kredit aufnehmen zu müs­sen. Damit wäre dem vor allem in der bayerischen Tradition sehr verankerten Kulturgut Volksfest wirklich sehr ge­holfen. Notzeiten hat es immer schon gegeben, der Unterschied zu heute ist, dass das Freizeitvergnügen vielfältiger ist und Volksfeste früher sehr stark ge­fördert wurden.

Hat der Ausverkauf bei den Schau­stellern schon begonnen?

Naja, dazu muss man sagen, dass ein Geschäft nur was wert ist, wenn ein Nutzen da ist, sprich die Tournee. Nor­mal ist es oft sogar so, dass man hofft, mit einem Geschäft gleich den einen oder anderen Platz übernehmen zu dürfen, das steigert natürlich den Wert. Ich persönlich habe jedenfalls keinen Gedanken daran verschwendet, aufzu­hören und mich in einer anderen Bran­che zu versuchen. Ich bin Schausteller mit ganzem Herzen und daran ändert sich mein Leben lang nichts. Deswegen schrieb ich anfangs z.B. die Gedanken des Tages auf Facebook, das hat zwar viel Zeit in Anspruch genommen. Viel­leicht konnte ich damit wenigstens dem einen oder anderen FB-Freund ein Lächeln ins Gesicht zaubern ... Ich bin schon zuversichtlich, dass wir Schau­steller uns halten können, doch viele sind dennoch gezwungen, sich einen anderen Broterwerb zu suchen. Ich hoffe immer noch auf die Christkindlmärkte to go, gerade arbeite ich an einem Konzept, unter Einhaltung aller Hygieneregeln versteht sich, für meine Heimatstadt. Leider hat in den letzten Jahren die Ballermannschiene auf den Volksfes­ten etwas überhandgenommen. Des­wegen ist bei vielen Menschen in den Köpfen das Volksfest mit einem Saufge­lage verbunden. Aber das stimmt nicht, wir Schausteller können Familienfeste! Das ist unsere Kernkompetenz. Das ist das Schöne am Gillamoos, da kommen nach wie vor die Familien. Ein großer Pluspunkt, er ist halt ein richtig schönes Familienfest. (Überlegt). Ich bin durch und durch Optimist, was soll ich ma­chen? Den Kopf in den Sand stecken bringt doch nichts, es geht weiter und es muss auch weitergehen. Ich finde, es ist eine sehr seltsame Zeit. Ich glaub schon, dass alles wieder normal wird, aber bis dahin dauert es noch ein bisserl ... Volksfeste wird es immer ge­ben! Meine Familie hat zwei Weltkriege überlebt, die Cholera, die Kinderläh­mung und es ging immer weiter. Mei ... (zuckt mit den Achseln). Wenn ich in der Früh aufstehe, dann schau ich zu­erst ins Bettstadl von meim Deandl ... und dann lacht mich Emilia an – und alles ist wieder gut (strahlt).

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